Aktuelles am Lehrstuhl
Umkämpfte Solidarität: Das Themenheft zum DFG Projekt ist im Mittelweg 36 erschienen!
Das Themenheft zum DFG Projekt "Umkämpfte Solidarität" ist im Mittelweg 36, (33)(6) 12/2024 erschienen und ist ab sofort erhältlich:
https://www.hamburger-edition.de/zeitschrift-mittelweg-36/das-aktuelle-heft/
Open-Access Sammelband zum Bürgergeld
Den neuen Beitrag von Stefanie Börner und Philipp Kahnert zu "Von Hartz IV zum Bürgergeld – weniger Konditionalität, mehr Selbstbestimmung?" gibt es ab sofort als Open-Access im Sammelband bei Springer:
https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-43475-5_2
Vortragsvideo: Von Hartz IV zum Bürgergeld
Stefanie Börner und Philipp Kahnert haben im Rahmen der
Neuer Kommentar auf Social Europe
hier geht's zum Text
Vortrag auf der Tagung "Solidarität in der EU"
Solidarität in der EU. Nicht nur eine Frage des Geldes
22.03.2019 - 24.03.2019
Akademie für Politische Bildung
Tutzing
zum Programm
CfP Schwerpunktheft: Der Sozialstaat als „Sortiermaschine“ – Kategorien und Kategorisierungsprozesse in der Sozialpolitik
Problemaufriss und Ziel des Schwerpunktheftes
Kategorisierung ist eine der grundlegenden, wenngleich auch oftmals eher unbemerkten Techniken und zentralen Mechanismen der Sozialpolitik. Rechtlich gesehen folgen die sozialen Sicherungssysteme dem sogenannten juristischen Syllogismus: Wenn sich ein bestimmter Sachverhalt unter eine bestimmte „Tatbestandsvoraussetzung“ subsumieren lässt (Behinderung, Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Arbeitslosigkeit, Minderung der Erwerbsfähigkeit etc.), dann treten als Rechtsfolge bestimmte Leistungsberechtigungen ein. Im Rahmen dieser Bewertungs-, Klassifizierungs- und Kategorisierungsprozesse werden individuelle Probleme und Bedürfnisse von spezialisierten Expert*innen anhand standardisierter Verfahren unter vordefinierte wohlfahrtsstaatliche Kategorien subsumiert. Diese Kategorisierungsprozesse sind entscheidend für die Ermittlung von Bedarfen und die Feststellung von Leistungsansprüchen, wie z. B. bei der Zuweisung von Pflegegraden, der Feststellung des Grades der Behinderung, der Definition von Langzeitarbeitslosigkeit, der Anerkennung einer Erwerbsminderung oder der Diagnose von Krankheiten.
Der Wohlfahrtsstaat funktioniert somit nicht nur als ein riesiger Umverteilungsapparat, sondern auch als allgegenwärtige „Sortiermaschine“, die unterschiedlichste Personengruppen anhand ausgefeilter Klassifikationssysteme in verschiedene wohlfahrtsstaatliche Programme kanalisiert. Institutionelle Kategorisierungen und Zuweisungen haben sehr reale Konsequenzen für die Sozialstaatsbürger*innen: Je nachdem, in welche spezifische Kategorie wohlfahrtsstaatliche Adressat*innen eingeordnet werden, können individuelle Ansprüche und Bedürfnisse anerkannt oder abgelehnt, soziale Rechte gewährt oder verweigert und hilfesuchende Personen in den sozialstaatlichen Schutzbereich aufgenommen oder davon ausgeschlossen werden. Kategoriensysteme und Klassifikationsverfahren fungieren in diesem Sine als Gatekeeping-Mechanismen, die materielle Lebenschancen, Bildungsverläufe und Erwerbsbiografien maßgeblich prägen können.
Wohlfahrtsstaatliche Kategorien beinhalten zudem auch implizite oder explizite moralische Bewertungen. Sozialstaatliche Entwicklungs- und Veränderungsprozesse werden von tief verwurzelten kulturellen Wertkategorien und den damit verbundenen Vorstellungen von Zugehörigkeit (belonging) und Unterstützungswürdigkeit (deservingness) geprägt. Sozialpolitik spiegelt und schafft somit gesellschaftliche Muster moralischer Klassifizierung und vermittelt spezifische Vorstellungen von sozial erwünschtem Verhalten, legitimen Bedürfnisse und individuellen bzw. kollektiven Verantwortlichkeiten. Aus konstruktivistischer Sicht bilden diese Kategorien nicht einfach bestehende soziale Sachverhalte ab, sondern tragen ihrerseits auch dazu bei, eben jene Realitäten zu schaffen, auf die sie sich beziehen. Sie prägen individuelle wie kollektive Identitäten, produzieren und reproduzieren symbolische Ungleichheiten durch Stereotypisierung und Vorurteile. Sozialstaatliche Kategorien können (zumindest in der Wahrnehmung der entsprechend „gekennzeichneten“ Personen) sowohl gesellschaftliche Wertschätzung und Privilegierung als auch Diskriminierung und Stigmatisierung befördern. Darüber hinaus können Kategoriensysteme aber auch „blinde Flecken“ aufweisen: Da sie normalerweise darauf ausgelegt sind, „Standardfälle“ abzudecken, sind sie immer auch mit Exklusionsrisiken verbunden; dies gilt insbesondere für Personen mit komplexen Bedürfnissen, die sich nicht leicht in die vorgegebenen administrativen Kategorien einsortieren lassen.
Da institutionelle Kategorien und Verfahren letztlich auf kontingenten sozialen Konstruktionen basieren, die sich in machtgetriebenen Interaktionsprozessen herausbilden, sind sozialstaatliche Ordnungssysteme stets umstritten; sie sind Gegenstand gesellschaftlicher Konflikte und befinden sich in einem kontinuierlichen Wandel. Entsprechende Veränderungen können auf Anpassungen der Terminologie und „Wordings“ beschränkt bleiben, können aber auch substanzielle Änderungen des konzeptionellen Rahmens und der zentralen Definitionen umfassen. Im Zuge konkreter sozialpolitischer Reformen können zentrale institutionelle Kategorien ausgeweitet oder eingeengt, neu definiert, umbenannt oder sogar komplett abgeschafft werden. Sozialstaatlicher Wandel kann insofern auch als Wandel sozialpolitischer Kategoriensysteme und Kategorisierungsverfahren analysiert werden.
Das Sonderheft widmet sich der theoretischen und empirischen Analyse wohlfahrtsstaatlicher Kategorien und sozialpolitischer Kategorisierungsprozesse. Beiträge sollten sich mit einem oder mehreren der folgenden, hier beispielhaft aufgeführten Themen und Fragestellungen befassen:
• Analyse der historischen Entstehung und Veränderung sozialer, moralischer und rechtlicher Kategorien im Wohlfahrtsstaat und der damit verbundenen Folgen für (potenzielle) Nutzer*innen und Adressat*innen, z.B. im Hinblick auf Inklusions-/Exklusionsprozesse, subjektiv empfundene Diskriminierung und Stigmatisierung oder biografische Langzeitwirkungen, sowie im Hinblick auf die öffentliche Akzeptanz sozialstaatlicher Leistungssysteme und Leistungsprinzipien,
• Analyse gesellschaftspolitischer Diskurse und sozialpolitischer Fachdebatten im Hinblick auf kategoriale Grenzziehungen und Grenzverschiebungen, normative Leitbilder und implizite oder explizite Verständnisse von „Normalität“ und „Abweichung“, von „(non-)deservingness“ etc.,
• Analyse der Veränderungen bestehender und der Entstehung neuer wohlfahrtsstaatlicher Kategorien im Kontext neuer sozialer Risiken, veränderter Geschlechterrollen und globaler Migrationsprozesse,
• Analyse innerorganisatorischer Kategorisierungs- und Fallbearbeitungsprozesse in der alltäglichen Vollzugswirklichkeit der Sozialadministration, beispielsweise in den Bereichen Arbeitsverwaltung, Sozialhilfe, gesetzliche Rentensysteme oder Kinder- und Jugendhilfe, z.B. im Hinblick auf das Verhältnis von standardisierten gesetzlichen Vorgaben und faktischen Beurteilungs- und Ermessensspielräumen der street level bureaucrats,
• Internationale und vergleichende Perspektiven auf sozialstaatliche Kategorien und Klassifizierungen, z.B. im Hinblick auf fortbestehende nationale Unterschiede und/oder mögliche Harmonisierungs- oder Konvergenztendenzen im Rahmen von Globalisierungs- und Europäisierungsprozessen,
• Analyse der potenziellen Auswirkungen des verstärkten Einsatzes standardisierter Instrumente und digitaler Technologien (Algorithmen) in sozialstaatlichen Bewertungs- und Einstufungsverfahren,
• vertiefende Analyse von Kategorisierungssystemen, Methoden und Verfahren im Kontext verschiedener wohlfahrtsstaatlicher Bereiche und Professionen, wie z. B. in medizinischen Berufen, im Rahmen der Sozialarbeit oder bei anderen sozialen Dienstleistungen.
Organisatorisches / Zeitplan
Abstract
Um einen Beitrag für das Schwerpunktheft vorzuschlagen, reichen Sie bitte bis spätestens 15. Juli 2023 ein erweitertes Abstract (einschließlich der Namen und institutionellen Zugehörigkeiten aller Autor*innen) von etwa 300 Wörtern bei den Gastherausgeber*innen ein. Bitte senden Sie Ihr Abstract an: stefanie.boerner@ovgu.de, antonio.brettschneider@th-koeln.de und thilo.fehmel@htwk-leipzig.de. Autor*innen, die eingeladen werden, einen vollständigen Artikel in englischer oder deutscher Sprache einzureichen, werden bis zum 10.8.2023 benachrichtigt. Die Abstracts sollten den Inhalt des geplanten Beitrags skizzieren und insbesondere auf folgende Punkte eingehen:
• Ziel, Forschungsfrage und Relevanz des geplanten Beitrags,
• konzeptionelle Perspektive,
• Daten und Methoden (falls zutreffend),
• (potenzielle) Ergebnisse und weitere Implikationen.
Vollständiger Beitrag
Der vollständige Beitrag (mit einer Länge von etwa 8.000 Wörtern) unter Einhaltung aller Standards der Zeitschrift sollen bis spätestens 31.1.2024 eingereicht werden. Die Einreichungen erfolgen über das System der ZSR: https://mc.manuscriptcentral.com/zsr. Alle Beiträge werden einem Double-Blind-Peer-Review unterzogen. Weitere Einzelheiten finden Sie in den Anweisungen für Autoren hier: https://www.degruyter.com/publication/journal_key/ZSR/downloadAsset/ZSR_Instructions_for_authors.pdf
Bei Rückfragen können Sie sich gerne an die Gastherausgeber*innen wenden: Prof. Dr. Stefanie Börner (OVGU Magdeburg), Prof. Dr. Antonio Brettschneider (TH Köln), Prof. Dr. Thilo Fehmel (HTWK Leipzig).